Ehrenamt SterbebegleiterIn - Interview
Von Jessica Strotmann
Dagmar Tennhoff hat sich für ein Ehrenamt entschieden, das bei vielen vielleicht eher mulmige Gefühle auslöst: Sie ist Sterbebegleiterin in der Hospizgruppe Selm-Olfen. RN-Volontärin Jessica Strotmann sprach mit der Nordkirchenerin über die ganz persönliche Angst vor dem Tod und über Dinge, die wir von Sterbenden lernen können.
Viele Menschen schieben die Themen Tod und Trauer weit von sich weg. Warum haben Sie sich entschieden, sich intensiver damit auseinander zu setzen?
Genau weil ich sehe, dass die Gesellschaft diese Dinge weit von sich weg schiebt, dass sie keinen Platz mehr in unserer Gesellschaft haben. Ich selbst bin in solche Situationen gekommen, wenn es Sterbefälle in der Familie gab und musste die Hilflosigkeit miterleben. Die Hilflosigkeit der Familienmitglieder untereinander. Von außen kam keine Hilfe, teilweise wollten Familienmitglieder reden, teilweise nicht. Sie konnten sich untereinander nicht helfen.
Haben Sie dann direkt mit der Schulung zur Sterbebegleiterin begonnen?
Nein, erst als ich eine ganze Zeit Distanz dazu hatte, habe ich gedacht, dass es sehr wichtig ist, diese Dinge wieder ins Leben zu integrieren. Früher war es einfach so, die Menschen sind zu Hause verstorben, sind noch zu Hause aufgebahrt worden. Sterben und Tod gehörten genauso dazu wie die Geburt. Und das wird heute so weit weggeschoben. Ich sehe die Verzweiflung der Menschen. Das war der Grund aktiv zu werden: Ich möchte etwas dafür tun, dass das wieder als Ganzes gesehen wird.
Wie liefen Ihre ersten eigenständigen Sterbebegleitungen ab?
Das waren zwei Damen im Altenheim in Nordkirchen. Beide waren schwerst erkrankt, die eine Dame war eine Wachkoma-Patienten. Oft wird dann ja gesagt, die kriegen nichts mehr mit. Wenn man dort aber ein bisschen verweilt, sich die Zeit nimmt, sie anspricht, Musik anmacht, in dem Raum Alltagsgeräusche erzeugt, mal einen Schrank auf und zu macht – dann merkt man ganz schnell die Reaktion.
In welcher Form?
Man merkt: Da ist noch was, der Mensch nimmt das wahr. Es ist enorm wichtig, das jemand da ist, der sie mal streichelt, anspricht. Damit das Gefühl kommt: „Ich bin nicht immer nur alleine.“ Die Dame hat dann auch versucht, über Laute zu antworten und zu reagieren. Man sollte da nicht zu schnell oberflächlich urteilen, da ist noch ganz viel möglich. Und es sind Menschen, die da liegen – und die haben ein Recht darauf, dass man sie auch so behandelt.
Waren sie dabei, als die Damen gestorben sind?
Nein.
Wie nimmt man die Nachricht auf?
Wenn ich dorthin gehe, weiß ich ja, dass es darauf hinausläuft. Ich versuche aus meiner Sicht alles Menschenmögliche zu tun, was man noch tun kann. Mir geht es darum, ein bisschen Lebensfreude und Menschlichkeit zu verschenken. Dass ich jetzt extrem traurig oder mitgenommen bin, kann ich nicht sagen. Ich akzeptiere den Tod als etwas ganz Natürliches. Ich habe eigentlich innerlich das Gefühl: „Es ist okay.“
Wie lange haben sie die Frauen betreut?
Die Frauen habe ich drei Wochen lang betreut, das ging recht schnell.
Gibt es Fähigkeiten, die man haben sollte, wenn man Sterbebegleiter werden möchte?
Die Motivation reicht. Man sollte sich darauf einlassen, mit dem Verein in Kontakt treten und einfach den Kurs mitmachen. Und erst nachdem man Informationen und eine Schulung bekommen hat, entscheiden: Ich mache das oder ich mache das nicht. In meinem Kurs hat man sich gegenseitig gehalten und voneinander gelernt. Weil jeder eigene Gedankenimpulse einbringt, an die man selber gar nicht denkt. Und es ist auch ein Stück weit Persönlichkeitsschulung für sich selbst, darauf muss man sich auch erstmal einlassen.
Was nimmt man für sich persönlich mit?
Ganz deutlich hat mich die Sterbebegleitung zu der Frage gebracht: Worum geht es wirklich? Sich in dieser schnelllebigen Zeit – alles geht höher, tiefer, flacher, breiter und noch ein bisschen schneller – zu besinnen, worum geht es wirklich? Das hilft einem im alltäglichen Leben auch mal runterzukommen, sich zu fragen, muss ich mich darüber wirklich aufregen? Man wird ein bisschen besonnener, man wird mal wieder am Boden angeschraubt.
Sie kennen den Patienten vorher nicht. Muss man sich da beim ersten Gespräch erst langsam aneinander herantasten?
Man muss sich gar nicht langsam rantasten – das ist etwas, was mich sehr erstaunt hat. Ein sterbender Mensch, der um seine Situation weiß, baut ganz viele Brücken zu uns. Das brauchen wir nicht tun. Und an der Stelle kann man nur dem Buchtitel von Elisabeth Kübler-Ross folgen: „Was wir von Sterbenden lernen können“. Wir können eine ganze Menge lernen. Es ist nicht so, dass wir dorthin gehen, diese Menschen be- schenken und retten in ihren letzten Lebensstunden. Im Grunde genommen habe ich ganz viel von diesen Menschen gelernt, für mein eigenes Leben. Mal wieder klar sehen, seine Gedanken zur Ruhe bringen, am Boden angeschraubt zu sein.
Gibt es Patentrezepte, um jemandem die Angst vor dem Sterben zu nehmen?
Die Konfrontation. Was machen Psychologen mit Menschen, die vor etwas Angst haben? Sie führen sie genau in diese Situation rein. Man muss sich damit beschäftigen. Man muss sich klar machen, das gehört zum Leben dazu. Je eher ich mich damit beschäftige, desto besser. Das war ja auch mit meine Motivation: Zu sagen ich möchte das wieder als natürlichen Bestandteil im Leben meiner Familie integrieren. Und nicht als etwas, das so weit weg und unfassbar ist.
Haben sie noch Angst vor ihrem eigenen Tod?
Ich hatte Angst vor dem Tod, die ist auch nicht vollständig weg. Da ist schon noch ein mulmiges Gefühl, aber keine panische Angst mehr. Aber es hat sich relativiert, indem ich sage – es ist wie es ist. Und was all die anderen schaffen, wirst du auch schaffen. Weil man auch gesehen hat, wie tapfer die Menschen da durch gegangen sind. Es ist etwas, was zu schaffen ist.
Dagmar Tennhoff: Die Nordkirchenerin ist verheiratet und hat vier Kinder. Sie arbeitet als Assistenzhundetrainerin.
Kurs: zur Sterbebegleiterin hat sie von Herbst 2013 bis Frühjahr 2014 absolviert.
Wie viel Zeit sie in ihr Ehrenamt investiert, entscheidet sie selbst. Die Hospizgruppe macht dort keine Vorgaben. Bei Bedarf arbeiten auch mehrere Sterbebegleiter zusammen.
Quellennachweis: Ruhrnnachrichten 17. Mai 2014